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46                                          Lebensraum Zurzibiet                            Mittwoch, 13. November 2019




            über GPS, Galileo und ähnliche Satelli-  nen- respektive Regenschirm. Von der un-  ten I. Ordnung und 25 Punkten II. Ord-
           tensysteme – ein Messpunkt von nationaler   bewaldeten Spornegg aus hatte die Equipe   nung bestimmte Michaelis im Kanton zwi-
           Bedeutung ist die Baldinger Spornegg aber   sicher beste Aussicht in alle Himmelsrich-  schen 1838 und 1841 insgesamt 450 Punkte
           trotzdem geblieben.                     tungen. Ob die Küssaburg, das Waldhaus   III. Ordnung, von denen er ausgehen würde
                                                   ob Siglistorf, das Burghorn auf der Lägern,   für seine topografischen Aufnahmen. Die
           Aufwendige Messarbeit                   der Rotberg bei Villigen oder die Riedfluh   Baldinger Spornegg hatte bereits zu den
                                                   bei Felsenau – sie waren alle vom höchs-  25 Punkten II. Ordnung gehört und so war
           Von Satellitensystemen wie GPS konnten   ten Punkt gut zu sehen. Während Michae-  klar, dass Michaelis für seine Aufnahmen
           die Kartenpioniere à la Ernst Heinrich Mi-  lis also auf der Spornegg stand, hatte einer   wieder von dort ausgehen würde für seine
           chaelis und Konsorten nur träumen. Um   der Gehilfen zum definierten Fixpunkt zu   Aufnahmen zum Zurzibiet. Beobachtun-
           ein möglichst genaues Bild der Gegend   marschieren, zum Beispiel die Küssaburg,   gen, die sie vor Ort machten, zeichneten Mi-
           zu zeichnen, mussten sie viele Kilometer   und dort das Flaggensignal zu errichten.   chaelis und seine Mitarbeiter in insgesamt
           zu Fuss und zu Pferd absolvieren und auf   Dann konnte Teil eins der Messung stattfin-  43 Feldbücher, die heute alle im Staatsar-
           damals neuste Messinstrumente wie den   den. Mit einem sechszölligen Repetitions-  chiv in Aarau erhalten sind.
           Theodoliten vertrauen, der sowohl Mes-  theodoliten von Ertel & Sohn in München
           sungen in der Vertikalen wie auch in der   wurde der Fixpunkt horizontal und vertikal   Dufourkarte als Auslöser
           Horizontalen ermöglichte. Gut ausgebau-  vermessen und die entsprechenden Winkel
           te Strassen gab es noch nicht und noch im-  wurden bestimmt. War das getan, konnte   Wie Reto Porta ausführt, liegen das Interes-
           mer fand ein Grossteil des Waren- und Per-  der Gehilfe zum dritten Punkt marschie-  se und die Aufgaben eines Nachführungs-
           sonentransports auf den Flüssen statt. Es   ren. Wieder wurde das Flaggensignal aufge-  geometers, der für einen Kreis auf acht Jah-
           ist verbürgt, dass Ernst Heinrich Michae-  baut, wieder wurde gemessen und Winkel   re durch den Vorsteher des Departements
           lis, ein in Schönberg bei Danzig geborener   wurden berechnet. Jetzt konnten Distanzen   Volkswirtschaft und Inneres gewählt wird
           Kartograf, im Kanton Aargau zeitweise   und Winkel zusammengefügt und fehlende   und  der  ein  eidgenössisches  Ingenieur-
           mit bis zu drei Gehilfen unterwegs war. Sie   Distanzen eingerechnet werden. Ein weite-  Geometer-Patent vorweisen muss, heute
           hiessen Ernst Rudolf Mohr, Johann Ge-   res Dreieck war definiert.              woanders als damals. Heute interessiert
           org Steinmann und Johann Heinrich Ba-     So wurde das sogenannte Triangulations-  sich der Nachführungsgeometer, der un-
           chofen und waren – häufiger als nicht – zu-  netz der I. und II. Ordnung, das erst kurz   ter anderem im Auftrag des Vermessungs-
           gleich auch seine «Schlepper». Geschultert   zuvor fertig erstellt worden war, durch Mes-  amts des Departements Volkswirtschaft
           hatte der Messtrupp Theodolit, Messtisch,   sungen Ernst Heinrich Michaelis’ Stück für   und Inneres (DVI) unterwegs ist, primär
           Distanzmesser (Stadia genannt) und eine   Stück um eine Triangulation III. Ordnung   für die Parzellengrenzen. Denn sie bilden
           Kippregel, dazu vermutlich Stativ und Son-  verfeinert. Ausgehend von fünf Messpunk-  eine wichtige und verbindliche Grundlage
                                                                                           für das Grundbuch und sichern den hohen
                                                                                           Wert, den die Parzellen darstellen
                                                                                            Von Grundbuch-Einträgen sprach zu
             Auf 565 Metern Höhe                   in den Jahren 1837-1843 auf der Baldinger   Michaelis' Zeiten noch niemand. Dass der
                                                   Spornegg kaum am exakt gleichen Ort ge-  Aargau Ende der 1830er- und Anfang der
             Ernst Heinrich Michaelis, ein in Schön-  standen haben wie an diesem Vormittag   1840er-Jahre vermessen wurde, hatte ei-
             berg  bei Danzig  geborener  Kartograf,   Nachführungsgeometer Reto Porta steht.   nen ganz anderen Auslöser. Die Michae-
             wird für seine Vermessung des Zurzibiets   Der Messpunkt auf der Spornegg wurde   liskarte, offiziell «Topographische Karte
                                                   in seiner Geschichte schon mehrfach um-  des Eidgenössischen Kantons Aargau» ge-
                                                   platziert und auch auf unterschiedliche   nannt, wurde zwar im Auftrag des Kan-
                                                   Art befestigt. Der heutige Landeslagefix-  tons Aargau erstellt, initiiert wurde sie
                                                   punkt 1 wurde am 1. Juli 1988 durch das   aber aufgrund des gesamtschweizerischen
                                                   Bundesamt für Landestopografie erstellt   Projekts der «Dufourkarte». Letztere war
                                                   und liegt auf exakt 565,710 Metern Höhe,   durch das neu gegründete Eidgenössische
                                                   auf Parzelle 88 der Gemeinde Baldingen.   Topographische Bureau angeordnet wor-
                                                   Beim Messpunkt handelt es sich um einen   den und sollte unter Leitung des Genfer
                                                   Kappenbolzen, der in einen Betonsockel   Kantonsingenieurs Guillaume Henri Du-
                                                   gesetzt wurde und zehn Zentimeter un-   four (1787-1875) im Massstab 1:100 000 an-
                                                   ter Boden liegt. Der LFP von nationaler   gefertigt werden. Die Dufourkarte wurde
                                                   Bedeutung ist messtechnisch abgesichert   später zum ersten amtlichen Kartenwerk,
                                                   durch mehrere Exzenterbolzen und PP-    das die Schweiz landesweit und geomet-
                                                   Steine, die um das Umfeld des Haupt-    risch korrekt darstellte.
                                                   punktes verankert und deren Koordina-    Dufour stützte sich für seine Karte auf
                                                   ten ebenfalls aufgenommen wurden.       Kantonskarten wie jene von Ernst Hein-
                                                     Früher, so ist einem rund 75-jährigen   rich Michaelis und gab dementsprechend
                                                   Heft in Reto Portas Besitz zu entneh-   präzise Anweisungen für die Ausarbeitung
                                                   men, gab es auf der Spornegg einmal ei-  der Karten. Aus diesen Anweisungen geht
                                                   nen Nord- und einen Süd-Stein, wobei der   deutlich hervor, dass die Karte vor allem
                                                   eine auf 566,75, der andere 567,49 Metern   militärischen Zwecken dienen sollte. Auf-
                                                   über Meer lag. Beide Steine waren im    zunehmen waren Häuser, Scheunen, Schöp-
                                                   Rahmen einer Triangulation im Jahr 1918   fe oder Hütten, Klöster, Kirchen und Ka-
                                                   neu bestimmt worden, die damals Grund-  pellen, grosse Mauern, Forts, Strassen aller
                                                   lage war für die geplante Katastervermes-  Klassen, Feld- und Fusswege, Flüsse, Bä-
             Reto Porta auf der Baldinger Spornegg   sung in den Gemeinden. Die Steine lagen   che, Fähren, Brücken und Brunnen, ausser-
             beim Landeslagefixpunkt der Kategorie 1,    nur unweit der ebenfalls eingetragenen   dem Wälder, Felsen und Schloss-Ruinen.
             in der Hand hält er ein altes Doppelbild-  Baldinger Kiesgrube auf der Spornegg.
             Reduktions-Tachymeter, eine Nachfolge-  1937 wurden die Messpunkte neuversi-  Zwölfjähriges Projekt
             rin des Repetitionstheodoliten, den Mi-  chert durch Signalsteine, die 20 cm breit,
             chaelis einsetzte.                    20 cm lang und 70 cm tief waren.        Michaelis begann sofort nach Abschluss
                                                                                           des Vertrags im Juli 1837 mit der Arbeit.
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