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Fasnacht
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vor 100 und mehr Jahren
ZURZIBIET (tf) – Wie lange es die Fas-
nacht schon gibt? Das ist eine Frage, die
die Fasnachtsforschung noch nicht voll-
ständig klären konnte. Als gesichert gilt,
dass es sich bei der Fasnacht nicht, wie
einst angenommen, um einen heidnisch-
germanischen Brauch handelt. Auch die
Verbindung zum römischen Fest der
Saturnalien, mit dem einst das Ende
der Winteraussaat gefeiert wurde und
während dem die Welt ebenfalls für
kurze Zeit Kopf stand, konnte nicht
bestätigt werden.
Erste Zeugnisse für Bräuche und
Feste, die mit der heutigen Fasnacht
entfernt verwandt sind, liegen erst
fürs Spätmittelalter vor, also Ende
des 14. und Anfang des 15. Jahrhun-
derts. Nachgewiesen ist die Fasnacht
in ihren Anfängen vor allem als
städtisches Brauchtum, aber es gibt
auch Quellen, die nahelegen, dass
die Fasnacht auch in den Dörfern
gefeiert wurde. So hat der Basler
Rat gemäss Eintrag von Fasnachts-
forscher Paul Hugger im Histori-
schen Lexikon der Schweiz (HLS)
die Fasnacht im frühen 15. Jahr-
hundert als «ländlichen Unfug»
bezeichnet.
Brauchtum im Wandel
Wie alt sie auch genau sein mag,
die Fasnacht hat in ihrer Ge-
schichte Höhen und Tiefen er-
lebt und sich im Laufe der Zeit
auch in ihrem Charakter verän-
dert. Während sie im 18. Jahr- Im Fasnachtsjahr 1912 wartet Klingnau mit einem grossen Umzug mit 12 Wagen
hundert an vielen Orten durch Ball in den Gasthof zum «Ochsen».
politische Behörden und Schu-
und 300 Mitwirkenden auf, in Döttingen lädt man derweil zum 1. Volks-Masken-
len verboten wurde, kam es im 19. Jahr-
hundert zu spürbaren Lockerungen und laden. Witzigerweise auf Montag,
zur eigentlichen Blütezeit der Fasnacht. den 15. Februar 1904. Heute ist im Zur- Das ausserordentliche
Maskenbälle und Maskenläufe kamen zibiet fasnachtstechnisch am Montag Jahr 1912
auf, da und dort entstanden Fasnachts- eher wenig los, in Luzern, wo der «Gü- Im Rückblick als ganz aussergewöhnli-
komitees, die die jährliche Fasnacht or- dis-Mäntig» intensiv gelebt wird, sieht ches Fasnachtsjahr zu bezeichnen wäre
ganisierten. das anders aus. In Zurzach wurden 1904 wohl das Jahr 1912. Vor 109 Jahren war
Im 20. Jahrhundert drohte die Fas- Produktionen auf zwei verschiedenen im Zurzibiet an der Fasnacht extrem
nacht zwar mancherorts wieder zu ver- Bühnen geboten, beim «Ochsen» und viel los. In Döttingen luden Ochsenwirt
schwinden, wo sie sich jedoch halten beim oberen Brunnen. Da trat offenbar Schifferle-Hauser und Ballmeister (und
konnte, wurde aus einem eintägigen Fest, ein «Mister King-Fu» auf und auch De- Tanzlehrer) Deschler-Wetzel zum ers-
das lange beschränkt war auf die Nacht monstrationen am «Luftapparat» gab ten «Volks-Masken-Ball von Döttingen
vor der 40-tägigen Fastenperiode, mit der es. Ausserdem gab es einen Faschings- u. Umgebung». Auf den Schmutzigen
Zeit ein mehrtägiger Anlass mit Umzü- Tanz. Aus heutiger Sicht fragwürdig ist Donnerstag, den 15. Februar, wurde auf
gen, Bällen und Fasnachtsspielen. Für die wohl die Nummer «Ost-Afrika’s letz- 19.56 Uhr in die «festlich geschmück-
zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist vie- tes Ereignis: Kampf der Deutschen mit ten und eisglatten Säle» des Gastho-
lerorts zudem eine Bewegung weg von Herero’s». Seinen Abschluss fand der fes zum «Ochsen» geladen. Geworben
der Saal-Fasnacht alter Zeit hin zur Stras- Faschings-Umzug in einem brillanten wurde mit Musik des Ball-Trios Döttin-
senfasnacht neuerer Zeit auszumachen. «Doppel-Pracht-Feuerwerk». gen, Tanz und Gesang, Lustspielen und
Bemerkenswert ist, dass nirgendwo Schnitzelbank, guter Küche und grosser
«Fasching» in Zurzach weder von Prinz Karneval, einer «Lät- orientalischer Polonaise und Française.
Wer in den alten Ausgaben der «Bot- schete» oder vom «Ättirüedi» und dem Der Eintritt lag bei 50 Rappen.
schaft» und des «Zurzacher Volksblat- «Räbehegel» die Rede ist, und das, ob- Es blieb aber nicht bei diesem ei-
tes» blättert, entdeckt bald, dass auch im schon der Ättirüedi und der Räbehegel nen «Hotspot». In zahlreichen weiteren
Zurzibiet schon vor über 100 Jahren in- bereits fürs späte 19. Jahrhundert nachge- Res taurants in Schwaderloch, Leibstadt,
tensiv Fasnacht gefeiert wurde. wiesen sind. Beide sind einst in Zurzach Koblenz, Rümikon und Klingnau wur-
So wird in der Februar-Ausgabe der aufgetaucht an der Fasnacht. de ebenfalls zu Tanz und Maskenball ge-
«Botschaft» aus dem Jahr 1904 bei- laden, auch boten viele Geschäfte und
spielsweise zum «Faschings-Umzug» Einzelpersonen Masken, Kostüme und
nach Zurzach ge- Larven zum Verkauf, so zum Beispiel Er-
ne-Bürli in Gippingen, Schleuniger-Hä-
feli und Waldau-Frey in Klingnau oder
Zwicki in Kaiserstuhl. In Zurzach wur-
de auf Montag zum Maskenball in den
Gasthof zum «Anker» geladen, auf Fas-
nachtsdienstag zum II. Grossen Masken-
ball in den Ochsensaal. Dort gab es neu
«Fest-Hütten für stille Andacht!», der
Eintritt lag für Maskierte bei 70 Rappen,
für Nichtmaskierte bei einem Franken.
Am Fasnachtsdienstag lud ein Or-
ganisationskomitee auf 13 Uhr aus-
serdem zum grossen Fasnachtsumzug
mit 12 Wagen, zwei Musikkorps und
einem Tambourkorps, insgesamt wa-
ren 300 Mitwirkende beteiligt. Thema
war die «II. Aarg. Landwirtsch. Aus-
stellung». Dem Inserat war die Um-
zugsordnung zu entnehmen. Gemäss
Einsendung würde der Umzug zum
Grossartigsten gehören, «was je hier-
in im Aarestädtchen geboten wur-
de.» Dem Organisationskomitee war
wichtig zu betonen, dass die in allen
Teilen aufs beste gelungene Land-
wirtschaftliche Ausstellung in Aarau
durch die Klingnauer Veranstaltung
nicht etwa persifliert werden soll-
te. «Es ist eine ureigene Darstel-
lung und zum Teil eine Satire auf
Zustände in der eigenen Heimat.»
Die Zurzibieter Fasnacht 1912
muss ein Grosserfolg gewesen
sein. Das Rümiker Fasnachtsko-
mitee wandte sich extra noch mit
einer «Schlusserklärung» an die
Leute. «Die Rümikoner Was-
Per Inserat wird 1904 in der «Botschaft» das Programm des «Faschings-Umzug» ter als Narren gefallen. / Fahrt Wie die Inserate in der «Botschaft» vom 9. Februar 1921 zeigen, waren vor 100 Jah-
sermannen / Wollen noch wei-
nur fort mit dem Lügenge-
in Zurzach verbreitet. schrei, / Für uns ist die Fast- ren Maskenbälle hoch im Kurs. Den Wettbewerb im «Hotel Vogel» konnte übrigens
der «Schneemann» für sich entscheiden, der 1. Preis war mit 15 Franken dotiert.
nacht nun vorbei!»