Page 8 - Fasnacht-2021
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Fasnacht




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          vor 100 und mehr Jahren






        ZURZIBIET (tf) – Wie lange es die Fas-
        nacht schon gibt? Das ist eine Frage, die
        die Fasnachtsforschung noch nicht voll-
        ständig klären konnte. Als gesichert gilt,
        dass es sich bei der Fasnacht nicht, wie
        einst angenommen, um einen heidnisch-
        germanischen Brauch handelt. Auch die
        Verbindung zum römischen Fest der
        Saturnalien, mit dem einst das Ende
        der Winteraussaat gefeiert wurde und
        während dem die Welt ebenfalls für
        kurze Zeit Kopf stand, konnte nicht
        bestätigt werden.
          Erste Zeugnisse für Bräuche und
        Feste, die mit der heutigen Fasnacht
        entfernt verwandt sind, liegen erst
        fürs Spätmittelalter vor, also Ende
        des 14. und Anfang des 15. Jahrhun-
        derts. Nachgewiesen ist die Fasnacht
        in ihren  Anfängen vor allem als
        städtisches Brauchtum, aber es gibt
        auch Quellen, die nahelegen, dass
        die Fasnacht auch in den Dörfern
        gefeiert wurde. So hat der Basler
        Rat gemäss Eintrag von Fasnachts-
        forscher Paul Hugger im Histori-
        schen Lexikon der Schweiz (HLS)
        die Fasnacht im frühen 15. Jahr-
        hundert als «ländlichen Unfug»
        bezeichnet.
        Brauchtum im Wandel
        Wie alt sie auch genau sein mag,
        die  Fasnacht  hat  in  ihrer  Ge-
        schichte Höhen und Tiefen er-
        lebt und sich im Laufe der Zeit
        auch in ihrem Charakter verän-
        dert. Während sie im 18. Jahr-  Im Fasnachtsjahr 1912 wartet Klingnau mit einem grossen Umzug mit 12 Wagen
        hundert an vielen Orten durch   Ball in den Gasthof zum «Ochsen».
        politische Behörden und Schu-
                                    und 300 Mitwirkenden auf, in Döttingen lädt man derweil zum 1. Volks-Masken-
        len verboten wurde, kam es im 19. Jahr-
        hundert zu spürbaren Lockerungen und   laden. Witzigerweise auf Montag,
        zur eigentlichen Blütezeit der Fasnacht.   den 15. Februar 1904. Heute ist im Zur-  Das ausserordentliche
        Maskenbälle und Maskenläufe kamen   zibiet fasnachtstechnisch am Montag   Jahr 1912
        auf, da und dort entstanden Fasnachts-  eher wenig los, in Luzern, wo der «Gü-  Im Rückblick als ganz aussergewöhnli-
        komitees, die die jährliche Fasnacht or-  dis-Mäntig» intensiv gelebt wird, sieht  ches Fasnachtsjahr zu bezeichnen wäre
        ganisierten.                     das anders aus. In Zurzach wurden 1904  wohl das Jahr 1912. Vor 109 Jahren war
          Im 20. Jahrhundert drohte die Fas-  Produktionen auf zwei verschiedenen  im Zurzibiet an der Fasnacht extrem
        nacht zwar mancherorts wieder zu ver-  Bühnen geboten, beim «Ochsen» und  viel los. In Döttingen luden Ochsenwirt
        schwinden, wo sie sich jedoch halten   beim oberen Brunnen. Da trat offenbar  Schifferle-Hauser und Ballmeister (und
        konnte, wurde aus einem eintägigen Fest,   ein «Mister King-Fu» auf und auch De-  Tanzlehrer) Deschler-Wetzel zum ers-
        das lange beschränkt war auf die Nacht   monstrationen am «Luftapparat» gab  ten «Volks-Masken-Ball von Döttingen
        vor der 40-tägigen Fastenperiode, mit der   es. Ausserdem gab es einen Faschings-  u. Umgebung». Auf den Schmutzigen
        Zeit ein mehrtägiger Anlass mit Umzü-  Tanz. Aus heutiger Sicht fragwürdig ist  Donnerstag, den 15. Februar, wurde auf
        gen, Bällen und Fasnachtsspielen. Für die   wohl die Nummer «Ost-Afrika’s letz-  19.56 Uhr in die «festlich geschmück-
        zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist vie-  tes Ereignis: Kampf der Deutschen mit  ten und eisglatten Säle» des Gastho-
        lerorts zudem eine Bewegung weg von   Herero’s». Seinen Abschluss fand der  fes zum «Ochsen» geladen. Geworben
        der Saal-Fasnacht alter Zeit hin zur Stras-  Faschings-Umzug in einem brillanten  wurde mit Musik des Ball-Trios Döttin-
        senfasnacht neuerer Zeit auszumachen.   «Doppel-Pracht-Feuerwerk».  gen, Tanz und Gesang, Lustspielen und
                                           Bemerkenswert ist, dass nirgendwo  Schnitzelbank, guter Küche und grosser
        «Fasching» in Zurzach            weder von Prinz Karneval, einer «Lät-  orientalischer Polonaise und Française.
        Wer in den alten Ausgaben der «Bot-  schete» oder vom «Ättirüedi» und dem  Der Eintritt lag bei 50 Rappen.
        schaft» und des «Zurzacher Volksblat-  «Räbehegel» die Rede ist, und das, ob-  Es blieb aber nicht bei diesem ei-
        tes» blättert, entdeckt bald, dass auch im   schon der Ättirüedi und der Räbehegel  nen «Hotspot». In zahlreichen weiteren
        Zurzibiet schon vor über 100 Jahren in-  bereits fürs späte 19. Jahrhundert nachge-  Res taurants in Schwaderloch, Leibstadt,
        tensiv Fasnacht gefeiert wurde.  wiesen sind. Beide sind einst in Zurzach  Koblenz, Rümikon und Klingnau wur-
          So wird in der Februar-Ausgabe der   aufgetaucht an der Fasnacht.   de ebenfalls zu Tanz und Maskenball ge-
        «Botschaft» aus dem Jahr 1904 bei-                                 laden, auch boten viele Geschäfte und
        spielsweise zum «Faschings-Umzug»                                  Einzelpersonen Masken, Kostüme und
        nach Zurzach ge-                                                   Larven zum Verkauf, so zum Beispiel Er-
                                                                           ne-Bürli in Gippingen, Schleuniger-Hä-
                                                                           feli und Waldau-Frey in Klingnau oder
                                                                           Zwicki in Kaiserstuhl. In Zurzach wur-
                                                                           de auf Montag zum Maskenball in den
                                                                           Gasthof zum «Anker» geladen, auf Fas-
                                                                           nachtsdienstag zum II. Grossen Masken-
                                                                           ball in den Ochsensaal. Dort gab es neu
                                                                           «Fest-Hütten für stille Andacht!», der
                                                                           Eintritt lag für Maskierte bei 70 Rappen,
                                                                           für Nichtmaskierte bei einem Franken.
                                                                              Am Fasnachtsdienstag lud ein Or-
                                                                            ganisationskomitee auf  13  Uhr aus-
                                                                            serdem zum grossen Fasnachtsumzug
                                                                            mit 12 Wagen, zwei Musikkorps und
                                                                             einem Tambourkorps, insgesamt wa-
                                                                             ren 300 Mitwirkende beteiligt. Thema
                                                                             war die «II. Aarg. Landwirtsch. Aus-
                                                                             stellung». Dem Inserat war die Um-
                                                                             zugsordnung zu entnehmen. Gemäss
                                                                              Einsendung würde der Umzug zum
                                                                              Grossartigsten gehören, «was je hier-
                                                                              in im Aarestädtchen geboten wur-
                                                                              de.» Dem Organisationskomitee war
                                                                              wichtig zu betonen, dass die in allen
                                                                               Teilen aufs beste gelungene Land-
                                                                               wirtschaftliche Ausstellung in Aarau
                                                                               durch die Klingnauer Veranstaltung
                                                                               nicht etwa persifliert werden soll-
                                                                               te. «Es ist eine ureigene Darstel-
                                                                                lung und zum Teil eine Satire auf
                                                                                Zustände in der eigenen Heimat.»
                                                                                  Die Zurzibieter Fasnacht 1912
                                                                                muss ein Grosserfolg gewesen
                                                                                 sein. Das Rümiker Fasnachtsko-
                                                                                 mitee wandte sich extra noch mit
                                                                                 einer «Schlusserklärung» an die
                                                                                  Leute. «Die Rümikoner Was-
               Per Inserat wird 1904 in der «Botschaft» das Programm des «Faschings-Umzug»   ter als Narren gefallen. / Fahrt   Wie die Inserate in der «Botschaft» vom 9. Februar 1921 zeigen, waren vor 100 Jah-
                                                                                  sermannen / Wollen noch wei-
                                                                                  nur fort mit dem Lügenge-
               in Zurzach verbreitet.                                              schrei, / Für uns ist die Fast-  ren Maskenbälle hoch im Kurs. Den Wettbewerb im «Hotel Vogel» konnte übrigens
                                                                                                            der «Schneemann» für sich entscheiden, der 1. Preis war mit 15 Franken dotiert.
                                                                                   nacht nun vorbei!»
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