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Lebensraum Zurzibiet «Die Botschaft» Mittwoch, 31. Oktober 2018 33
Alltag im AWZ: Weg von Fremd-
hin zur Selbstbestimmung
Menschen mit einer Behinderung sollen sich vermehrt einbringen
und äussern, was ihnen gefällt und wichtig ist.
KLEINDÖTTINGEN (ire) – Nur wer auch viel mehr Geduld, als wenn Sich verständigen
sich verständigen kann – ob mit man einfach Befehle erteilt», weiss Im AWZ wohnen rund 40 Perso-
Sprechen, Malen oder mit Gebär- Roman Uhland. nen in einer internen oder externen
den – ist in der Lage, seine Gefüh- Gearbeitet wird in vielen klei- Wohnungseinheit. Zudem sind rund
le und Anliegen mitzuteilen. Per- nen Schritten. Entscheidend ist, 100 Frauen und Männer in die Ta-
sonenzentriertes Arbeiten (PZA) dass jeder Mensch für sich defi- gesstruktur eingebunden. Sie haben
will genau dies fördern. Diese Hal- niert, was ihm wichtig ist, dann eine kognitive (verstandsmässige)
tung wird seit 2016 im Arbeits- können die Begleitpersonen ver- und in einigen Fällen auch eine psy-
und Wohnzentrum für Behinderte suchen, ihm zum Durchbruch zu chische Behinderung. «Wir haben Das Personenzentrierte Arbeiten
(AWZ) gelebt. Roman Uhland, Lei- verhelfen. «Bei uns arbeitete bei- zahlreiche Leute, die beispielsweise fördert die Verständigung.
ter Tagesstruktur, wurde an einem spielsweise eine Person, die sich nicht sprechen oder kommunizie-
Kongress in Flims auf die Methode äusserst schwer in unsere Struktu- ren können.» Für sie wurden Hilfs-
aufmerksam, die ihn und die AWZ- ren einpassen konnte und wir uns gegenstände, wie ein Fotoring mit
Angestellten überzeugte. ernstlich fragten, ob wir der richti- Bildern aller nahestehenden Men-
ge Platz für sie sind. Als wir sie je- schen, gemacht. Nun kann der Mit-
Eine Gratwanderung doch fragten, wohin sie sich denn arbeiter einfach auf das Foto zeigen,
Beim PZA steht der Mensch ganz entwickeln möchte, sagte sie, sie wenn er jemanden sucht. Oder es
im Zentrum. Es geht darum, Men- möchte eine Wohnung mit ihrem gibt den Ring mit vielen Zeichnun-
schen mit einer Beeinträchtigung Freund nehmen. Sie brauche einen gen. Ob jemand Hunger hat, auf die
mehr zuzutrauen und ihnen mehr Lehrabschluss, damit sie das Geld Toilette muss, Durst leidet etc. kann
Eigenverantwortung einzuräumen. dafür verdienen könne.» Mit etwas der Mitarbeiter mit einem entspre-
«Es ist manchmal eine Gratwande- Glück kann die Frau ihren Traum chenden Symbol mitteilen. So ist
rung von Loslassen und Grenzen bald erfüllen und ihre Ausbildung Verständigung möglich.
setzen. Es erfordert im Umgang beginnen.
Weniger Aggressionen
«Wir haben auch immer einen
Menüplan, doch was nützt das je-
mandem, der nicht lesen kann?»,
stellt Uhland in den Raum. Des-
halb wurde ein Minisprachgerät
angeschafft, auf dem zu hören ist, Die Menschen im AWZ können sich
was es zu Essen gibt. Angewandt heute viel besser entfalten.
wird auch die Gebärdensprache
nach Methode Porta. Zudem gibt
es Talkers-Tablets mit Bildern, die Wichtige Selbstbestimmung
berührt werden können, und dann Im AWZ wird auch viel mit Far-
spricht der Computer in kurzen ben gearbeitet, damit alles leichter
Sätzen aus, was der Mensch mittei- einprägbar ist. So ist der Montag
len will. Roman Uhland freut sich: und was damit zu tun hat immer
«Das Personenzentrierte Arbeiten grün, der Dienstag immer ocker
zeigt Erfolg. Viel mehr Menschen und der Mittwoch blau. Seit gut ei-
können sich jetzt ausdrücken und nem Jahr wird im AWZ die Selbst-
das hilft, Aggressionen zu senken.» bestimmung gefördert. Geschäfts-
führer Roger Cavegn steht ebenso
Selber wählen lassen hinter dem neuen Ansatz wie auch
Als das Personenzentrierte Arbei- Karin Filli, die den Bereich Woh-
ten eingeführt wurde, hatten man- nen leitet.
che Angestellte auch Angst, dass Regelmässig gibt es persönliche
etwa Wünsche wie auf den Mond zu Lagebesprechungen zwischen Mit-
fliegen, geäussert würden. «Manch- arbeitenden und Begleitpersonal,
mal stossen wir auch an Grenzen», um zu prüfen, ob das gewünschte
gibt Uhland unumwunden zu, wenn Ziel noch richtig im Fokus liegt.
etwa ein Bewohner zu viel isst und Kürzlich durften die internen
deshalb zunimmt und zunimmt. Wohngruppen zusammen mit ei-
Dann muss irgendwann eingeschrit- nem Schreiner auswählen, wie ihr
ten werden. Oder es gibt Eltern, de- Esstisch aussehen soll. Auch Ein-
nen PZA zu mühsam ist: «Früher richtungsgegenstände oder Lam-
konnte ich einfach sagen, Max zieh pen suchen sich die jeweiligen
den grünen Pulli an. Heute muss ich Zimmerbewohner selber aus. Ja
ihn fragen, welchen Pulli er möch- sogar bei der Anstellung von Be-
Roman Uhland zeigt die Zeichnungen mit denen sich manche Mitarbeiter te», bringt es eine Betroffene auf gleitpersonen dürfen sie heute mit-
verständigen. den Punkt. reden.